Junge Menschen kämpfen in Griechenland mit Arbeits- und Perspektivlosigkeit. Dafür machen sie auch ihre Elterngeneration verantwortlich. FOTO: GIANNIS TSIRIGOTIS (21.05.2015 SYNTAGMA ZENTRUM VON ATHEN - HAUPTSTADT VON GRIECHENLAND)
Die Krise in Griechenland ist auch eine Krise der Familie: Die Jungen machen die Elterngeneration für die Misere verantwortlich. Über diese Wut muss man reden, sagt Regisseur Syllas Tzoumerkas und erklärt deren Gründe.
GIANNIS TSIRIGOTIS FUER DIE SZ: Herr Tzoumerkas, Sie haben mit "A Blast - Ausbruch" einen Film über den Zorn der Kinder gemacht, die ihre Eltern für die Krise verantwortlich machen. Haben Sie auch so eine Wut?
Syllas Tzoumerkas: Klar, ich bin auch wütend! Aber genauso wie in meinem Film die Beziehung zwischen Kindern und ihren Eltern weit komplexer ist, so ist sie es auch in der Realität. Sicher sind da die Schuldzuweisungen einer jungen Generation, die geradewegs in den Abgrund stürzte. Aber die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind vielschichtig und voller Widersprüche: Liebe, Schutz, Glückseligkeit, Opfer, Ansprüche, Egoismus, Wut - alles ist dabei. Darum vergeben die einen oder lassen zumindest den Dingen ihren Lauf. Die anderen sind verbittert und wollen ihre Eltern strafen.
GIANNIS TSIRIGOTIS FUER DIE SZ: Hat sich denn die Generation der Eltern etwas genommen, das ihr nicht zustand?
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Natürlich, gerade die Generation der Nach-Militärdiktatur: Wähler wie Politiker haben nicht nur die Reserven ihrer eigenen Eltern aufgebraucht, die das Land nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Bürgerkrieg wieder aufbauen mussten - sondern die Ressourcen ihrer Kinder gleich mit. Das ist ein Fakt und jetzt muss jeder damit leben.
GIANNIS TSIRIGOTIS FUER DIE SZ: Viele junge Griechen mussten zuletzt wieder bei ihren Eltern einziehen. Verschärft das die Konflikte?
Die Solidarität der Eltern ist oft lebensrettend. Aber ich kenne keinen, der gerne wieder Zuhause einzieht. Die Spannungen innerhalb der Familie, die erzwungene Nähe, dazu der Verlust von Unabhängigkeit - das hinterlässt tiefe Spuren bei den Menschen und verändert ihre Selbstwahrnehmung.
GIANNIS TSIRIGOTIS FUER DIE SZ: In manchen Gesellschaften scheint der Generationenkonflikt geradezu unmodern geworden zu sein. Vielleicht, weil gerade alles ganz gut läuft. Erlebt er in Griechenland eine Renaissance?
Es ist keine Trendfrage. Es ist ein universelles Thema. Ich denke, dass jede Generation von der vorherigen auf die eine oder andere Art vergiftet wird. Schon in den griechischen Mythen ist das Thema, etwa bei Antigone, der Tochter von Ödipus, oder Telemach, dem Sohn von Odysseus. Beide müssen mit den Hinterlassenschaften ihrer Eltern klarkommen. Oder nehmen wir die Studentenproteste in den Sechzigerjahren. Sie erzählen genauso von dem Konflikt. Jeder Ort und jede Zeit hat eben eigene Beschleuniger, die Richtung und Ton der Auseinandersetzung beeinflussen. Wie auch immer, wir stellen uns dieser Wut nicht oder verstecken sie. Vielleicht deuten wir sie auch nicht richtig oder wir denken, dass Wut an sich ausreichend ist - anstatt uns zu überlegen, wie wir die Dinge neu anpacken können.
GIANNIS TSIRIGOTIS FUER DIE SZ: Können Sie die Entwicklung dieses Konflikts beschreiben?
Es lassen sich zwei Phasen ausmachen. Die erste lief etwa bis 2009, 2010. Im Mai 2010 musste sich Griechenland beim Internationalen Währungsfonds um Hilfen bemühen. In diesen Jahren entwickelten sich in meiner Familie und auch in den Familien meiner Freunde Spannungen und eine Art wechselseitiger Ablehnung eher unterschwellig. Es war wie bei Shakespeares Hamlet: Man weiß, da ist irgendetwas grundfalsch, aber man kann nichts dagegen tun und verharrt in passiver Aggression. Das Paradies der Neureichen, das in den Neunzigerjahren in Griechenland entstand, birgt seine Geheimnisse und Lügen, unausgesprochene Sünden und Dinge, die nicht in Frage gestellt werden. Das war das Thema meines ersten Films "Homeland". Damals verloren Worte und Ideen ihre eigentliche Bedeutung - bis sie am Ende das Gegenteil von dem meinten, was sie sagten.
GIANNIS TSIRIGOTIS FUER DIE SZ: Zum Beispiel?
Etwa als Politiker die Ehrlichkeit und den redlichen Umgang mit Geld beschworen - aber selbst korrupt waren. Oder als Väter und Mütter ihren Kindern sagten: 'Ich liebe Dich' aber meinten: 'Du wirst genau das tun, was ich Dir sage'. Doch die Krawalle 2009 und der Offenbarungseid vor dem IWF änderten alles: Danach mussten zahllose Geschäfte schließen, die gesamte Mittelklasse rutschte ab. Einkommen und Pensionen brachen ein und die Arbeitslosigkeit explodierte. Darum radikalisierte sich das Land vielerorts, wobei das Spektrum der sozialen Bewegungen von sehr düster bis hell reicht. Manche versuchen, die Dinge neu zu bewerten, andere wollen Sündenböcke finden.
GIANNIS TSIRIGOTIS FUER DIE SZ: Der Konflikt zwischen den Generation trat also offen zu Tage . . .
Ja, aber ich weiß nicht, wie viel Zeit man hat, sich noch mit ihm zu beschäftigen. Eine neue Zukunft muss her. Jenseits der Oberschicht in Griechenland droht jeder unterzugehen und ist entsprechend damit beschäftigt, sich selbst zu retten. Die einen versinken in Agonie, die anderen kämpfen - und treffen plötzlich Entscheidungen, die sie vorher nicht getroffen hätten: größer, dringlicher, dramatischer. Wie das Beispiel des völlig überschuldeten 60-jährigen Besitzers eines Mini-Supermarkts. Er legte in der Nähe von Athen Feuer im Wald, um von Auftraggebern Geld für die Brandstiftung zu bekommen. Oder nehmen wir all die jungen, gut ausgebildeten Leute, die gezwungen sind, nun einen komplett neuen Beruf zu ergreifen. Oder die, die hastig emigrieren, um einen Platz zum Leben und Arbeiten zu finden. Die Zurückgebliebenen müssen entscheiden, wie lange sie das jetzt noch alles mitmachen wollen: die schon infame Apathie unserer adipösen öffentlichen Verwaltung - oder das diebische Vergnügen mancher Arbeitgeber, die Löhne derart kürzen zu können.
GIANNIS TSIRIGOTIS FUER DIE SZ: Was wird aus dem Konflikt der Generationen in Griechenland entstehen?
So wie immer und überall, ganz gleich ob in Deutschland oder in Griechenland: Die Welt der Eltern wird kollabieren. Die neue Generation, die meinige also, wird kämpfen, hart arbeiten müssen, ihre eigenen Verbrechen begehen und unerträglich selbstgerecht sein - und am Ende werden wir den Verdruss unserer eigenen Nachfolger zu spüren bekommen.
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